Kürzlich habe ich anlässlich der Präsen­tation ihres neu­esten Buches »Der Sieg des Kapitals« das Vergnügen gehabt, der Autorin und taz-Journa­listin Ulrike Herr­mann zuzuhören, wie sie den Kapita­lismus erklärte. Ihre Dar­stellung anhand seiner Ent­stehungs­geschichte machte es mir als Ökonomie-fast-Analpha­betin leicht, ihr zu folgen – ohne den Eindruck zu haben, dass ihr Thema in unan­ge­messe­ner Weise um seine Komplex­ität betrogen würde.

Während ich in dem historischen Vortrags­saal der VHS in Herford Ulrike Herr­manns Vortrag folgte konnte ich regelrecht zuschauen, wie sich mein Kopf aufräumte. Bis jetzt war ich der Auf­fassung gewesen, dass ich Ökon­omie nicht verstehe. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie auf dem Welt­markt freie Markt­wirtschaft und ein sich selbst durch Angebot und Nach­frage regu­lierender Wett­bewerb funktio­nieren sollen. Anzu­nehmen, dass die global player die Welt und die Märkte unter­ein­ander aufge­teilt hätten kam mir immer irgend­wie ver­schwörungs­theore­tisch und somit peinlich vor. Jetzt begriff ich, dass es beides – Welt­»markt« und »freien« Wett­bewerb – nicht gibt und auch nie gegeben hat.

Die Versuchung ist groß, an dieser Stelle einige ihrer interes­santen Thesen nach zu zeichnen. Da das ein Rezensent auf den nachdenkseiten bereits angemessen ausführlich getan hat, möchte ich an dieser Stelle an einer Frage anknüpfen, auf die Frau Herrmann nach ihrem – übrigens nicht nur fun­dierten sondern auch äußerst kurz­weiligen – Vortrag einge­gangen ist: nämlich, ob der oder die Einzelne noch etwas tun könne, ja – ob es denn noch Sinn mache wählen zu gehen ange­sichts der Macht, die Lobby­isten auf die Regie­renden in Berlin und Brüssel aus­übten. Oder ganz all­gemein: ob wir als Bürger über­haupt noch Ein­fluss auf das Regie­rungs­gesche­hen nehmen könnten.

Ihre Antwort: ein entschiedenes »Ja!« Sie ist überzeugt, dass die Abge­ordneten, denen (noch) kein lukrativer Posten in der Wirtschaft den Abschied aus der Regierungs­verantwortung schmack­haft macht, nach wie vor äußerst interessiert daran sind, ihre Wähler zufrieden zu stellen. Und sie sind diejenigen, die bei Abstimmungen über das Ergebnis entscheiden.

Bei einer Unter­schriften­aktion auf dem Floh­markt vor meiner Praxis für die selbst­orga­nisierte Euro­päische Bürger­initiative Stopp TTIP sagten viele Menschen, mit denen ich ins Gespräch kam, sie gingen nicht mehr wählen, man wisse ja gar nicht mehr, wer eigentlich wofür stünde.

Mein Blick hatte sich in den letzten Monaten ebenfalls an den Entschei­dungs­trägern im Rampen­licht der Polit­bühne fest­gesogen und den Ein­druck erzeugt, dass wir nicht mehr in einer RePublik leben, in der die res publica noch wirklich eine »Sache des Volkes« ist. Aber Herrmanns Argumen­tation war so einfach wie einleuchtend: Die ein­fachen Parlamen­tarier – die Hinter­bänkler, sozu­sagen – sind wirklich noch Abgeordnete: die Abordnung ihrer Wähler und ihrer Partei­basis zuhause.

Praktisch bedeutet dies, dass es wichtig und sinnvoll ist, im Kontakt mit den eigenen Abge­ordneten zu stehen, ganz gleich, zu welcher Partei sie gehören und ob man sie gewählt hat oder ihren Konkurrenten. Zur Zeit ist es schwer bis unmöglich zu unter­scheiden, wofür oder wogegen jede der großen Parteien – einschließlich der Grünen – gerade ist. Das Gute daran ist, dass es tatsächlich fast egal ist, welche der großen Parteien man wählt. Wichtig ist nur, dass man wählt .

Wer nicht wählt, stärkt extrem­istische Bewegungen (deren Sympa­thisanten wählen gehen!) und erweitert den Raum für den anti­demokra­tischen Ein­fluss multi­nationaler Konzerne und Hedge­fonds und den der global agierenden Rüstungs-, Öl-, Atom-, Pharma- und Agrar­industrie.

Wer wählt, wählt Demokratie.

PS: Das Buch liest sich spannend wie ein Krimi …