Diesen Artikel meiner Schulfreundin Jenny Mansch las ich in einem meiner digitalen sozialen Netzwerke. Nach einer kurzen Korrespondenz

»Liebe Jenny,
darf ich Deinen schönen Artikel auf meiner Subdomain zeitgeschehen.walckhoff.de veröffentlichen? Mit voller Autorenhuldigung, natürlich? Oder noch besser: Du meldest Dich als Redakteurin an und machst es selbst?!
Wenn ich doch nur bald mal nach Berlin käme … wird Zeit dass wir uns mal persönlich sprechen, finde ich.
Für heute liebe Grüße
Katharina«

»Danke, liebe Katharina,
das freut mich, ist ne schöne Seite! Veröffentliche du es lieber, das fände ich glaube ich eleganter. Schön, dass dir der Text gefällt.
Und ja, es wird Zeit, sich mal zu sehen!
Jenny«

hier nun Jenny’s Betrachtungen:

Jetzt haben wir den Salat! Seit 15 Jahren und mehr muss ich mir anhören, »Zieh doch jetzt auch mal aus Neukölln aus«, »Da musste jetzt aber langsam auch mal weg!« »Das ist doch wirklich das Letzte«, und dergleichen, was ich immer abgeschüttelt habe wie Regentropfen, obwohl es schon rough war hier. Meine Tochter schrieb auf einer Postkarte an den besorgten Großvater: »Also Opa! Geschossen wird hier nicht!«, was nicht stimmte, denn im Hinterhof wurde geballert, Drogen verbuddelt, Frauen liefen blutüberströmt des Nachts kreischend im Hof herum, die SEKs trampelten treppauf, treppab im Tagesrhythmus. ‚Irgendwann geht das hier bergauf‘, dachte ich immer störrisch vor mich hin, ohne zu wissen, was und wen ich damit zu meinen habe. Und ich erlebte staunenden Auges die Karawanen Europas, die hier im Laufe der Jahre Ein-und Durchzug hielten, seit Neukölln kein Arbeiterbezirk mehr sein konnte, weil es gar keine Fabrikarbeit mehr gab, außer bei Reemtsma die Kippen drehen.

Nach den Arbeitern, die nach Britz getürmt waren, kamen erst die türkischen Mitbürger, denen Kreuzberg zu teuer geworden war, dicht gefolgt von den arabischen Großfamilien, die sich ständig in der Werbellinstraße gegenseitig die Ohren abschossen. Kaum kamen die halbwegs miteinander aus, zogen die Bosnier her, darauf dann gleich das ganze rumänische Dorf, das in meiner Straße einzog und für neue Stimmung in der Bude sorgte. Doch auch mit ihnen ging es steil bergauf in Neukölln. Alles pendelte sich ein, die rumänischen Frauen hatten bald Buggys, die Kinder Inliner und die Kerle neue Autos.

Aufgestört wurde diese bunte, aber wenig kaufkräftige Mischung dann tatsächlich erst unlängst, als Merkels Wirtschaftsflüchtlinge, die Mutti mit ihrer Sparpolitik alle auf die Welt gebracht hat, hierherzogen. Griechische Familien, spanische Studenten, französische Studenten, portugiesische Studenten, alle auf der Suche nach dem verlorenen Glück, deutsche Hipster mit Hund, deutsche Hipster ohne Hund, die Veganer, Impfgegner und lauter Buggyfrauen aus dem Prenzlauer Berg, die den Scheiß da oben nun auch nicht mehr bezahlen konnten und sich in die Niederungen Neuköllns herabbegeben mussten und als erstes bei Rewe mit den Ureinwohnern aneinandergesemmelt sind, denn da herrscht eben immer noch der gute alte Umgangston, den man besser beherrscht, wenn man schon hierherzieht. Anders wär nämlich schlecht. Die Weserstraße, in der noch vor vier Jahren eine 19-jährige Schwangere nachts auf der Straße erschossen worden war, ist nun der hippe Scheiß voller Kneipen und Galerien, die auch mal einen Dreier anbieten, wenns mit der Kunst nicht so läuft.

Mittlerweile sind zwei der drei Omis aus meinem Erdgeschoss verstorben, nachdem sie über 60 Jahre in diesem Haus gelebt und stets den Niedergang Neuköllns beklagt hatten. Nur noch Frau Albrecht lebt, leider ist sie dement. Sie war früher sehr energisch. Als sich ins Haus ein heimliches Sadomaso-Studio einquartiert hatte, entleerte sie einen Eimer Wasser auf die schwarzen Latexu-Uschis der Einweihungsparty, und auch auf »die Ausländer« hat sie ständig geschimpft, woraufhin ich immer mit ihr geschimpft habe. Heute weiß sie nix mehr, was für sie ein Glück ist, denn sie klingelt nun alle Stunde bei den türkischen Nachbarn um Hilfe und hat ihre Abneigung völlig vergessen.

Langer Rede kurzer Sinn: Eines der letzten wunderbar verkommenen Häuser, in dem auch der Nazi von gegenüber sowie der Computersüchtige und der Opernfreak wohnen, ist seit heute morgen eingerüstet, meine Aussicht wird sich optisch verbessern. Das ist schön. Trotzdem fürchte ich die Verdrängung der bunten Mischung durch die übliche Gentri-Blase, die hier zwar noch ’ne Weile einen sehr schweren Stand haben wird, aber man weiß ja, wie das läuft. Die klagen sich ihre Ruhe vor Gericht zusammen. Und ich hoffe, dass ich deshalb nicht bald auf die Leute hören muss, die immer gesagt haben »Also eigentlich musst du da weg.« Denn für so viele Prenzl-Muttis mit ihren großen Brüsten, absenten Ehemännern und den teuren Buggies sind unsere Bürgersteige gar nicht breit genug.